Samstag, 20. Januar 2018

Je suis de bad, bad mood - Mylènes Überraschungssingle

Als ich gestern Morgen früher als mir lieb gewesen wäre aufzustehen hatte und ich gerade das gewohnte Gefühlsstadium "neuen Tag annehmen, oder so tun, als gäbe es keine Außenwelt?!" durchlebte, rettete mich ausnahmsweise der Blick auf meine Facebook-App:
Quelle surprise! Mylène Farmer dévoile son nouveau single!

Es gab keine Ankündigung: Einfach so jagt Mylène den Vorboten zu ihrem neuen Album in den Äther hinaus... "Rolling Stone" heißt der Titel und das YouTube-Design zum Song sah schon mal verlockend aus - irgendwo zwischen Oberhausener Rotlichtmilieu und Disco angesiedelt, aber dabei alles eine Nuance zu düster: Modern Mylène eben! Ich schickte den Track also instantanément auf die Reise durch DAS High-Fidelity-Soundsystem per se: durch den Soundchip und die Boxen meines etwas veralteten, portablen Telefons (actually: Box! Mono all the way!). Was sich dann ereignete, klang in etwa so - nur eben etwas blecherner:


Ich tue mich häufig schwer, wenn Künstler, die ich sehr, sehr schätze, eine neue Single launchen: Die unterbewusste Erwartungshaltung ist gigantisch groß, gleichzeitig will ich aber bewusst emotional nicht zu viel investieren. Dazu kommt, dass ich scheinbar eher ein musikalischer Traditionalist bin und häufig vergangenen Klangepochen eines Künstlers hinterhertrauere, sobald sich stilistisch etwas Neues anzubahnen scheint - nur um diesen "neuen" Sound dann ein paar Jahre später wiederum zu verteidigen, wenn das darauffolgende Werk in den Startlöchern steht...
Wir halten also fest: Ich wäre definitiv kein guter Influencer oder Trendsetter im weitesten Sinne!

Nun, diesmal lief es etwas anders!
War "Stolen Car" zusammen mit Sting 2015 noch mehr eine mediale Detonation, die auch mich mitriss (ich bestellte sofort die 12"-Single als Frankreich-Import, obwohl sie mit dem Instrumental des Tracks nicht mal eine nennenswerte B-Seite hat...), so wirkt die Sache hier deutlich stimmiger: Diesmal handelt es sich nicht um einen Track mit international bekanntem Gaststar und den dazugehörigen Headlines der französischen Boulevardpresse. Kein unterkühlt-erotisch knisterndes Musikvideo, dass den (natürlich intentionierten!) Gerüchten um eine eventuelle Affäre zwischen den beiden weiteren Nährboden verschaffte. Bestseller? Ja, natürlich - Mylène ist in der frankophonen Welt ja mehr oder weniger immer #1 der Charts, wenn sie sich dazu entschließt, neue Musik zu veröffentlichen; sei es nun bei den Downloads oder den physischen Plattenverkäufen. Aber der Track ist tatsächlich tiefergehend, als all das erneut vorhandene mediale Getöse rund um das neue Album im März und die anstehende Tour 2019 vermuten lassen würde:
Mylène kehrt ein wenig ins Fahrwasser von "Bleu Noir" (2010 / eines meiner absoluten Lieblingswerke von ihr - nichtsdestotrotz dank der Zusammenarbeit mit Moby!) zurück und präsentiert damit erneut eine nahezu perfekte Verbindungsbrücke zwischen ihrem "neoklassischen" Stil (beispielsweise auf "Innamoramento" / 1999) und den späteren, tanzbareren Titeln (beispielsweise "Point de Suture" / 2008, oder auch "Monkey Me" / 2012). Heißt auf deutsch: Der Track klingt modern, selbstbewusst, tanzbar - doch die Melancholie und die Introvertiertheit der Madame Gautier scheinen noch zu jeder Zeit durch die wabernden Synthies und pulsierenden Beats hindurch.
Dazu kommen gewohnt Farmersche Lyrics der Marke:

"Je suis de bad, bad mood
J'ai le sang qui broie du noir
J'attends le spleen à redoux
Je peine à rire, je peine à croire"

"Je suis de celle qui maudit
Qui compte plus quand c'est fini"

"Faut que j'm'en aille quand c'est trop
Et quand c'est fini, je refais mon lit"

Die gute, alte unstete Liebe und der Spleen, die Wechsel- und Wehmütigkeit - und letztlich der immerwährende Neuanfang, die notwendige bewusste Selbsttäuschung, um weiterleben und -lieben zu können. Poplyrics? Ja, natürlich - wir reden hier nicht von philosophischen Betrachtungsweisen. Aber es entsteht ein emotionales Setting, dass mich besänftigt; genug lyrische Finesse ist vorhanden, um mich weiter in der artifiziellen Musikwolke und im daraus entstandenen Kult rund um diese Dame verweilen lassen zu wollen. Ein bisschen Schwärmerei hat schließlich noch niemanden umgebracht...
Der Traditionalist freut sich auf Neues!


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