Donnerstag, 18. Januar 2018

Ein Requiem auf den "CD-Verleih / Second-Hand Markt"


Es gab eine Zeit, da war Vinyl sehr out - so out, dass die Plattenläden reihenweise dichtmachten und man richtig tolle Platten für lachhafte Kleinstbeträge auf Flohmärkten ergattern konnte. Die Verkäufer waren dann einfach nur froh, den "Prüll" loszuwerden! Und wenn es noch Plattenläden gab, dann waren dort die Preise ebenfalls meist eher niedrig angesiedelt.
(Natürlich haben sich einige Fachläden, wie z.B. der auf Jazz & Blues spezialisierte "Black Diamond" [Ritterstraße am Hansaring / Köln] über all die Jahre gehalten, aber die "mittelmäßigen" Normalo-Plattenläden - die mir am liebsten sind! - starben reihenweise weg...)

Auf was ich hinaus will? Nun also...
Ich begann mit etwa 13/14 Jahren, CDs zu sammeln und mir einen (wir wollen es mal so nennen...) Musikgeschmack zuzulegen.
(Das ist eine noch zu erzählende Geschichte für sich, die als Hauptakteure die [eher unspektakuläre] CD-Sammlung meiner Eltern, ebendiese Besitzer der CDs und letztlich meine Wenigkeit aufweist. Nebenrolle: Die alte, fette Stereoanlage meines Vaters, die keiner mehr brauchte und die somit in meinem Kinderzimmer landete - welch Wink des Schicksals!)
Nun entwickelte ich recht zügig einen großen und unstillbaren Appetit nach Zerstörung immer neuen CDs und neuen Hörerfahrungen - die damals noch hauptsächlich(st) im harten Rock- und traditionellen Metalbereich stattfanden.
Auf diese Weise wuchsen erste CD-Hügel in meinem Zimmer und kumulierten sich über die Jahre zu wahrhaften Bergen...

Ich besitze noch genau ein einziges Bild aus der "Anfangszeit" meiner CD-Sammlung, April 2004:


(Dieses Bild spricht Bände über mich: Oben die "heiligen" CDs [schon damals penibel alphabetisch sowie chronologisch sortiert!] - unten irgendwelcher unsortierter Krempel... man muss eben Prioritäten setzen!)

Die Zeit verging, die Schuljahre flogen an mir vorüber, man gab das Tischtennisspielen auf, um am Wochenende Zeit für die Freundin zu haben - doch die große Konstante: Mindestens alle 1-2 Wochen im Saturn (Hansaring / Köln) in der Rock- und Metalecke herumwandeln und das komplette Taschengeld in Alben (und ab dem Alter von 15 Jahren auch Konzerte) von Alice Cooper, Metal Church, Exodus oder Motörhead verballern investieren!


Doch es kam der Tag, an dem sich ein schrecklicher Zweifel in mir breitmachte... er näherte sich mir ganz langsam und auf Umwegen und nährte sich aus alten Bildern im Internet, oder verdächtigen Gegenständen in alten Partykellern bei Freunden - große Pappcover mit einem schwarzen, runden Gegenstand darin!
Eine Schallplatte!

Die letztlich aus dem Zweifel resultierende Frage lautete:
Ist die CD wirklich der coolste Tonträger?!

[Pause]
[Das muss erstmal sacken...]

Wenn man jahrelang so viel Zeit und so viel (gemessen an der begrenzt vorhandenen Menge!) Geld in ein Hobby investiert - ja, sein ganzes Leben um dieses Hobby aufbaut! - und dann eines Tages spürt, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem man eine Menge Alben erneut in einem anderen Format wird kaufen müssen, dann stellt einen das als Jugendlicher vor ernsthafte Motivationsprobleme hinsichtlich des eigenen weiteren Lebenswillens!
Es dämmerte mir einfach, dass beispielsweise ein Album wie 'Ace of Spades' von Motörhead - verdammt noch mal! - auf eine LP gehört und nicht auf eine CD! Die CD war ja beim Erscheinen des Albums 1980 noch nicht einmal final entwickelt, geschweige denn auf dem Markt...

Ich spürte, dass sich die "großen Momente der Musik" auf Schallplatten abspielen, dass diese sagenumwobenen Objekte eine magische Wirkung haben mussten: Wenn (aus damaliger Sicht!) alte Männer mit bebender Stimme und glasigen Augen von ihrer ersten Beatles- oder Stones-Platte berichteten, wurde mir klar, dass sich in ihrer Jugend irgendwas (im wahrsten Sinne des Wortes!) abgespielt haben musste, was ich mit dem Besitz des selben Albums auf CD nicht nachvollziehen würde können.
Ich war zu dieser Zeit noch nicht dazu fähig, dies konkret in Worte zu fassen, aber das Gefühl, dass heute eine Erkenntnis ist, war auch damals schon vorhanden:
Ein Leben ohne Vinyl kann keinen Sinn haben!

Zurück zum Thema...

Meine CD-Sammlung war mittlerweile schon deutlich stärker angewachsen, als es durch das obige Bild zu erahnen wäre und die Jahre gingen weiter ins Land. Ich hatte noch keinen Plattenspieler, aber wurde hier und da immer wieder mit günstigen, herumliegenden Schallplatten konfrontiert - kein Wunder also, dass ich eines Tages eher unbewusst damit begann, die interessanteren Titel unter ihnen schon mal "auf Verdacht" zu kaufen. Schließlich würde man ja eines Tages einen Plattenspieler besitzen und dann die ganzen angehäuften Schätze hören können!
Diese "fantastische" Idee (im Nachhinein bin ich bei den damaligen Preisen tatsächlich froh darüber!), Tonträger zu sammeln, die man in Ermangelung des dazugehörigen Equipments überhaupt nicht hören konnte, führte über kurz oder lang frustrationsbedingt natürlich dazu, dass ich einen ersten und schnell dann auch einen zweiten Plattenspieler in die Hände bekam.
Es waren grauenhafte Konstruktionen!

Der erste war so etwas wie die damalige Variante eines Crosley - mehr eine Plattenfräse, als ein Plattenabspielgerät! Alle Platten klangen darauf schrecklich, egal, wie gut oder schlecht die LP selbst erhalten war. Der EINE (MONO!) fest verbaute "Lautsprecher" in dieser Kompakt-Ode der Technik machte diesen Umstand nicht wirklich besser...
Eben deshalb folgte der eben erwähnte zweite Spieler recht schnell. Diesmal war es tatsächlich ein Gerät, dass den Namen Schallplattenspieler im weitesten Sinne zu recht tragen durfte (es war ein "Standardteil" aus den späten 70er-Jahren, die Marke weiß ich leider nicht mehr...), allerdings war die Nadel wohl komplett runter. Schade nur, dass ich damals absolut überhaupt keine Ahnung von Tonabnehmern / Nadeln usw. hatte und daher einfach weiter Platten auf dem Ding hörte - ohne auch nur je die Kalibrierung, das Auflagegewicht oder die Anti-Skating-Einstellung kontrolliert zu haben!
Es klang die ersten zwei Lieder einer Seite lang ganz gut und wurde zur Plattenmitte hin dann richtig zerrig und schlimm. Ich dachte eine Zeit lang wirklich, alle meine Platten (es waren damals ja alles nur gebrauchte!) wären halb defekt, abgenudelt, oder das müsse - quasi formatbedingt - so klingen!
Aus heutiger Sicht eine grausame, aber auch humorvolle Zeit...

Nach einigen Probemonaten, in denen ich auch die hoffnungslosesten Fälle im Bereich der Plattenwelt abzuspielen versuchte (darunter auch eine passend betitelte Kopie von Kiss' "Destroyer", bei der der erste Track nur halb abspielbar war, da ein ordentliches Stück Plattenrand herausgebrochen war - ein Umstand, der mich selbstredend nicht daran hinderte, die Nadel über diese schreckliche Verunstaltung zu jagen, nur um auch ja die ersten abspielbaren Takte der Platte einzufangen...), erfolgte meine persönliche kleine Seelenrettung: Ich beschaffte mir günstig einen dritten Plattenspieler.
Im Grunde kein Stück besser (technisch wohl sogar eher schlechter!), als mein vorangegangenes Gerät, aber mit intakter Nadel ausgestattet - ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man auch nicht im Traum daran denkt, mal so ein Verschleißteil auszutauschen!
Ich war nun also für die großen Abenteuer, die da in meinem Leben noch kommen sollten mehr oder weniger vorbereitet...

Es kam dann der Tag, an dem ich nach Jahren des CD-Konsums in ebendiesem Laden schließlich auch die Vinylabteilung im "CD-Verleih / Second-Hand Markt" für mich entdeckte. [Andächtige Stille - Kunstpause!]

Es war... groß!
Wild!
Aufregend!
Es verbrauchte alle meine finanziellen Reserven und beanspruchte endlose Stunden! Es war wie das erste Bier, das erste Mal, das erste Konzert - ein Moment, der bleibt; ein Moment des farbenfrohen Sinns in einer grauen Welt!

Ich kehrte an drei aufeinanderfolgenden Nachmittagen in den Laden zurück und pflügte mich hemmungs- und schamlos durch die gesamte Abteilung - A-Z (+ Sampler!) Das Ergebnis war der Grundstock, das Fundament meiner heutigen Plattensammlung. ALLES, was nach 80s-Rock, AOR, Synthiepop oder Oldschool-Metal aussah, wurde sich ohne Rücksicht auf Verluste einverleibt - mindestens 50 Platten!
(Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Preise erwähnen... 99 Cent, 1,99€, 2,99€ - keine Platte hat auch nur mehr als 5,99€ gekostet!)

Meine auditiven Sinne erforschten neue Klangwelten, kaleidoskopartige Bilder spielten sich vor meinem inneren Auge ab - es war ein bisschen wie die ersten 20 Minuten von "A Clockwork Orange", leider nur mit weniger Beischlaf!
Es war entschieden: Ich würde nun mein ganzes Leben freudetaumelnd dazu verdammt sein, durch die muffigen Plattenläden der Republik zu tingeln, immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss Kick!
Es folgten rare Spezialitäten, bessere Abspielsysteme, neue (!!) Nadeln! Mein erstes Bluesalbum, mein erstes Jazzalbum, ein Album von Modern Talking mit spiegelndem Cover (keine Sorge, das habe ich nicht mehr!) und weitere Schmankerl. Das Leben wurde immer bunter und vielschichtiger und mehr und mehr (jetzt muss ich es ja mal zugeben!) befreite ich mich aus den Fesseln der 80er-Jahre-Rockwelt und sprengte hinaus in die Freiheit der grenzenlosen musikalischen Emanzipation und Selbstverwirklichung. #metoo

DAS - lieber Leser - vollbrachte der "CD-Verleih / Second-Hand Markt"! Ein niemals versiegender Quell günstiger Platten & CDs (+ Filme!), der mich zu dem Mann machte, als der ich heute selbstbewusst und zuversichtlich durch diese gottgegebenen Zustände dieser wundervollen Welt schreite!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit,
der Verfasser





Dies sind die einzigen zwei Fotos, die ich im Netz überhaupt von diesem Laden finde - hier verbrachte ich meine Jugend. (Bitte nicht wegen der Nutzung verklagen, es ist doch für einen guten Zweck!)
Er schloss letztes Jahr endgültig und der Sohn der ehemaligen Inhaberin hat in der Ritterstraße in Köln - nur eine Ecke weiter - nun einen eigenen, wesentlich "fokussierteren" Plattenladen für Vinyl-Delikatessen eröffnet.
Der Charme des Originals bleibt allerdings unerreicht...

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